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Sell! Sell! Sell! Demnächst Kondome in der Kirche

Etwas Abwegigeres ist mir momentan nicht eingefallen. Doch wohin man blickt – Cross-Selling oder zumindest das Andrehen weiterer Produkte außer dem Gewünschten ist höchst beliebt. Beispielsweise bei Antritt einer Bahnreise. Am Schalter nach der Nummernziehung (Chapeau vor diesem psychologischen Kunstgriff – keine abschreckend lange Schlange mehr, in der man stehend warten muss) fragte mich die Fahrkartenverkäuferin, ob ich komfortabel mit der 1. Klasse reisen wolle. Hoppala! Da schlüpfte mir was in den Gehörgang, schlug im auditorischen Kortex Kapriolen und signalisierte mir: „Das gehört da nicht hin.“ So was würde doch freiwillig kein normaler Mensch fragen! Es war das Adjektiv „komfortabel“, das mich irritierte.

Mir lag auf der Zunge zu sagen: „Danke, ich bin ein Mensch 2. Klasse und reise ganz unkomfortabel mit derselben, da ich mir als solcher die saumäßig teure, wenngleich komfortable 1. Klasse nicht leisten kann.“ Ich blieb höflich und ratterte mein Reiseziel und die Rückfahrtdaten herunter, um sowohl der Fahrkartenverkäuferin als auch den auf dem Bänklein komfortabel Wartenden und letztlich mir selbst Zeit zu ersparen. Da kam die nächste Frage: „Reisen Sie öfter mit der Bahn?“ „Warum?“ entfuhr es mir kurz angebunden. Die Verkäuferin holte Luft und begann mir die Vorzüge der Bahncard anzupreisen, was ich wiederum mit einem kurzen Scherenschnipp unterbrach. Die sei mir zu teuer geworden. Gut. Doch ich war noch nicht am Ziel. Denn bevor ich das begehrte Ticket erwerben durfte, wurde mir noch eine Reservierung nahe gelegt. Hin und zurück. Die neun Euro kann die Bahn sicher gut gebrauchen, dachte ich mir. Ich ebenfalls, und so lehnte ich auch dieses Angebot dankend ab. Als nicht regelmäßige, aber gewiefte Bahnreisende habe ich schließlich meine Strategien: Ganz hinten oder vorne bei der 2. Klasse einsteigen und die Sache in eine Richtung aufrollen. Mit etwas Glück findet sich ein unreserviertes, immerhin zuzüglich Fahrpreis viereinhalb Euro wertvolles Plätzchen. So ging es mir auf der Hinfahrt; auf der Rückfahrt am Montag Abend hätte ich im Zug tanzen können. Die gesparten neun Euro habe ich in ein Paar Gartenschlappen investiert.

Einmal ist es übrigens nicht ganz so gut gegangen. Ich erwischte unreserviert auf einer Rückreise von Berlin den Beginn der dortigen Ferien und das Ende der Lidl-Bahn-Ticket-Aktion. Wer mit einem solchen Ticket unterwegs ist, hat noch nicht einmal die 2. Klasse verdient und muss deshalb reichlich unkomfortabel ganz ohne Sitzplatz reisen. Doch kam mir auch damals meine Erfahrung zugute: Gleich am Zugende einsteigen und sofort am Boden Platz nehmen. Was man hat, das hat man. Dort schaukelte ich fröhlich mit einem Kinderwagen, zwei Müttern, drei Kleinkindern und gefühlten zehn Gepäckstücken fünf Stunden lang durch die deutschen Lande. Doch die Fahrgäste, die nur noch im Gang oder vor dem Klo Platz gefunden hatten, reisten ziemlich – na? Genau: unkomfortabel. Selber schuld.

Bei der Post soll es inzwischen ähnlich sein. Also das mit dem Verkaufen. Und zwar werde, wer am Schalter arglos eine Briefmarke haben wolle, nach getätigtem Kauf gefragt, ob er nicht gleich auch ein Konto bei der Postbank eröffnen oder seinen Stromanbieter wechseln möchte. Ich bin mir sicher: Auf solche Fragen hätte ich den Schaltermenschen angesehen wie ein Auto. Nur nicht so schnell. Aber jetzt bin ich ja vorbereitet und kann mir eine tolle Antwort zurechtlegen. Vielleicht nach Kondomen fragen. Das Ganze erinnert mich an die Kioske im ehemaligen Ostblock: Da konnte man alles kaufen, vom Porno über Pril bis Pantoletten. Irgendwie war das prima. So schrullig und oft sehr praktisch. Hier aber, gepaart mit einer verkaufsstrategischen Abfragestunde, geht es mir nur auf die Nerven.

Da frage ich mich schon rein beruflich: Wer schreibt eigentlich den Schalterverkäufern diese Texte zum Auswendiglernen vor? Oder wer denkt sich solche Maßnahmen überhaupt aus?! Die gehören doch an die Wand – nein, das darf man ja nicht sagen. Gleichwohl gibt es Hoffnung. Die Bahn erfindet zumindest sich selber immer wieder neu. Wer – simsalabim – Schlangen wegzaubern kann, der ist auch zu anderem fähig. Immerhin haben sie es geschafft, den bedienerfreundlichen (ja, so steht es geschrieben) Automaten noch bedienerfreundlichere Assistenten, nämlich echte Menschen, zur Seite zu stellen, die den Bedienern dann die Automaten erklären. Da darf man schon gespannt sein, was noch kommt.

(Bildgrundlage von CoolClips.com)

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