Deutschland 100 % bio
(Beitrag zur Blogparade von Tobias Leisgang, Bianka Groenewolt und Gregor Ilg zum Thema „Was wäre, wenn …?“)
Im indischen Bundesstaat Sikkim gibt es 0 % Chemie auf den Feldern, dafür 100 % biologische Erzeugung. Klingt lecker. Und nachahmenswert. Ob das auch in Deutschland möglich wäre? Die Zeit ist reif dafür – unser Grundwasser weist immer höhere Konzentrationen von Giften, Hormonen und Medikamentenrückständen auf. Singvögel sterben aus, da sie auf den verpesteten Feldern keine Nahrung mehr finden. Unsere intensive Tierhaltung lässt Kleinbauern und Regenwälder in Brasilien sterben, da der Anbau von Futtersoja in den Händen weniger Großbauern ist. Von der Tierqual ganz zu schweigen.
Stellen wir es uns doch einfach mal vor und begeben uns gedanklich in ein unwirkliches, aber wünschenswertes Szenario. Wir schreiben das Jahr 2025. Angela Merkel (ja, sie lebt und regiert noch) hat per Dekret beschlossen: 100 % bio ist die Quote, umsetzbar bis 2035. Etliches hat sie bereits erreicht: So wurde die Verordnung von nur noch ein Mal wöchentlich Fleisch in öffentlichen und betrieblichen Kantinen auf den Weg gebracht. Einwände der Großkantinenbetreiber konterte sie kess mit einem Spruch aus der Veggie-Szene: „Wenn ihr Fleisch essen wollt, beißt euch doch selber in den Arsch.“
Überhaupt ist Mutti die letzten Jahre ziemlich cool geworden. Auslöser war eine Einladung von Shri Pawan Chamling, des Ministerpräsidenten von Sikkim, gewesen. Drei Wochen vegetarische Biokost und tägliche Meditationen klärten den Geist; eine gezielte Yoga- und Cannabis-Therapie half gegen die elenden Rückenschmerzen. Auf der Rückfahrt ins Regierungsgebäude vom Flughafen Berlin-Brandenburg (ja, er ist inzwischen fertig, zumindest drei Landebahnen) erlebte sie ihr zweites Fukushima, nachdem sie in einen umgestürzten Tiertransporter hineingeraten war.
Also machte sie weiter, ließ Ställe umbauen, sodass sie den Anforderungen an eine artgerechte Tierhaltung genügten. Diese wird kontrolliert – unangekündigt und durchgeführt von Nichtregierungsorganisationen wie der Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt. Nach der Zuckersteuer auf Konsumwaren im Jahr 2020 war unlängst auch eine Steuer auf Fleisch- und Wurstwaren eingeführt worden.
All das auf den Weg zu bringen, war natürlich nicht ohne Widerstände aus der Politik und vor allem der Wirtschaft abgelaufen. Doch es gab auch unerwarteten Rückenwind von der in den letzten Jahren weiter erstarkten Fitness- und Kraftsportszene – Männer mit Titten vom Hormonfleisch waren einfach nicht mehr sexy. Und die Unternehmen hatten über zunehmend hohe Krankenstände gestöhnt; Keime hatten sich ausgebreitet, denen kein Antibiotikum mehr gewachsen war. Ein fruchtbarer Boden also, das Bioziel voranzutreiben. Werfen wir nun einen Blick in den Bundestag in Berlin. Angela Merkel steht am Rednerpult.
„80 Millionen Menschen mit Bioware zu versorgen? Wir schaffen das!“ ruft das Staatsoberhaupt und blickt kämpferisch in die Reihen vor ihr. Da sitzen sie: die Agrarminister auf Bundes- und Landesebene. Die Spitze des Eisbergs. Unsichtbar hinter ihnen die scheinbar undurchdringliche Wand: die Agrarlobby. Merkel weiß, dass sie von Anfang an hart durchgreifen muss und macht ihren Standpunkt klar: „Jungs, die Subventionen für Landwirte und Tierhalter gibt’s nur noch für bio. Wer so weiter machen will wie bisher, der kriegt nix, null, niente. Und wer sich in meinem Kabinett nicht mehr wohl fühlt, soll sich was in der Wirtschaft suchen. Bei einem gewissen Saatgut- und Pflanzenschutzmittelhersteller, zum Beispiel …“ Erschrocken schlägt sie sich die Hand vor den Mund. „Ach so, das wird’s ja dann nicht mehr geben. Na, egal. Da muss ich bald ein Gespräch führen“, sagt sie zu sich und kritzelt eilig eine Notiz auf ihren grünen Blazerärmel. Grün war schon immer ihre Lieblingsfarbe, und inzwischen besitzt sie ausschließlich Blazer und Hosenanzüge in allen Grüntönen – natürlich fair produziert und in Bioqualität. Einwände zur Zollpolitik nimmt sie gleich vorweg: „Deutschland ist ja Exportweltmeister. Das wird auch so bleiben. Und schmutzige Importwaren belegen wir einfach mit saftigen Zöllen. Hat das nicht dieser Amerikaner damals, wann war das noch genau, 2018, Präsident Trump, auch so gemacht? Und wenn die Menschen unbedingt verpestete Erdbeeren im Januar oder billiges Tierqualfleisch aus dem Ausland essen wollen – bitte, dann kleben wir eben hässliche Bilder auf die Verpackungen wie bei den Zigaretten. Das Ganze saftig teuer und nur noch in gekennzeichneten Bereichen zu konsumieren. Da wird denen schon der Appetit vergehen!“
Merkel spricht drei Stunden.
Als es zur Diskussion kommt, dass durch diese Maßnahmen Arbeitsplätze verloren gehen, stöhnt sie: „Die Arbeitsplätze! Ich höre sie schon wieder schreien!“ Merkel hält sich gespielt die Ohren zu. „Erinnert euch, falls ihr da schon auf der Welt wart, an den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Prima gelaufen!“
Merkel spricht weitere drei Stunden. Am Ende hebt, wer noch wach ist, die Hand und stimmt für bio.
Alles Utopie? Noch. Shri Pawan Chamling allerdings ist überzeugt: „Wenn wir auf der ganzen Welt dieses Ziel annehmen, dann schaffen wir es bis 2050, dass konventionelle, agro-chemische und industrielle Landwirtschaft der Vergangenheit angehören.“ Und was wäre dann wirklich, wenn …?
Wir äßen hochwertige Waren, erzeugt von Menschen, die faire Preise erzielen. Wir wären gesünder. Es gäbe keinen Hunger mehr auf der Welt. Keine gequälten Tiere mehr, und die Luft wäre besser.
Angie, let’s have a dream!
(Bildgrundlage: Stylight)
Kommentare
Hallo Kathrin,
hey, wow, was für eine Satire! Es ist erfrischend, über etwas, was mensch sich wünscht, trotzdem so bissig und sarkastisch zu schreiben!
Danke für den Seitenhieb mit dem Strukturwandel 😉 Ich glaube nicht, dass der bis 2025 auch nur ernsthaft begonnen haben wird, aber dafür ist es ja eine Satire und wir dürfen nicht nur sondern müssen träumen.
viele Grüße
Lea
Hey, danke, liebe Lea! Ja, wenn so etwas IRGENDWANN mal Realität wird, werden wir es nicht mehr erleben. Aber wie heißt es doch so schön: Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“