Speyer mal ganz berlinesk
Speyer. Dabei denke ich an den Dom, die schmucke Innenstadt, ein paar seelenlose Gewerbegebiete. Aber auch – Überraschung! – an eine ehemalige Zelluloidfabrik, in der man eine Zeitlang, habe ich gehört, Munition hergestellt hat. Die Nutzung des Industriegländes heutzutage ist ungleich friedvoller, und am Sonntag, 5. Mai, am Tag der offenen Tür im Industriehof, wie sich das Gründerzeit-Ensemble heute nennt, ist sie vor allem eins: tiefenentspannt.
Wir spähen in Werkstätten und erblicken hier den Kotflügel eines alten Fords, dort den Kühler eines Mustangs, frisch hergerichtet und lackiert. Wir bestaunen restaurierte Vespas, die äußerlich aussehen, als seien sie noch in den 40-ern vom Band gerollt, und tauchen in die schneeweiße Märchenwelt der Stuck-Werkstatt ein. Eine Werkstatt für Kinder gibt es ebenfalls, aber die dürfen da mitmachen und werden nicht repariert;-). Wahre Zauberräume tun sich bei einem Kunstmaler und Dekorateur auf, der sein Atelier mit einer Teddymacherin teilt. Überall hängt, steht und liegt Kunst und erfüllt die einst nüchternen ehemaligen Büroräume mit Poesie.
Wir befühlen Geldbörsen aus alten Feuerwehrschläuchen, denn mit den Händen schauen ist ausdrücklich erlaubt. Wir scherzen mit dem Antiquitätenhändler, bei dem man nur mit den Augen schauen darf. Ich knüpfe Kontakt mit einer Werbeagentur, die sich im Loft ihres Fotografen präsentiert, in das ich sofort einziehen würde. Und ich darf bei einem spontanen Schnupperkurs auf Cajons herumhauen – schon lange ein kleiner Traum von mir.
Mittendrin: Eine Wiese, darauf ein Uraltwohnwagen, aus dem heraus köstiches Essen verkauft wird. Wir nehmen auf von der Sonne abgeschossenen Plastikstühlen an einem Tisch Platz, dessen Hauptbestandteil Rost ist. Andere Sitzgelegenheiten sind ähnlich angejahrt, ähnlich bunt zusammengewürfelt. Musikklänge wehen von irgendwo herüber, in einer Nische zwischen zwei Backsteingebäuden wird gegrillt. Und plötzlich können wir unser Wohlgefühl in Worte kleiden: Berlin. Genauso ist es dort. Trotz der vielen Menschen: Unaufgeregt. Cool. Inspirierend.
Spätestens nächstes Jahr sind wir wieder dort. Im Industriehof, nicht in Berlin.
Kommentare
prima, sehr gut dokumentiert.
Danke, Herr Parins!
Wirklich super schöne Beschreibung. Wer da das nächste mal nicht unbedingt dabei sein möchte ist doof!
Gell?! Danke für das Kompliment, liebe Frau Wittmer.