Voll das Sortiment
Neuhofen, im September 2018: Etliche kleine Geschäfte im alten Ortskern stehen leer, und kürzlich hat im Neubaugebiet ein so genannter „Vollsortimenter“ – ein hochpreisiger Supermarkt, der alles hat – seine Pforten geschlossen. Verwaist ist nun der hässliche Zweckbau und gammelt still vor sich hin. Nun droht nun der zweite Einkaufsmarkt, und das in der Ortsmitte, seine Pforten zu schließen. Der einzige Metzger mitten im Ort ist schon lange weg. Der Neuhofener ist nun mal ein volatiles Wesen und dazu äußerst automobil. Er fährt gern zum Vollsortimenter in den Nachbarort oder besucht den Discounter am Ortsrand sowie denjenigen in einem weiteren Nachbarort.
Entgegen dieser Tendenz zum Fremdeinkauf hegt man in der Neuhofener Politik andere Pläne: Weg mit dem Sportplatz im Ort, her mit dem Vollsortimenter, einem Ärztezentrum, Bäcker (wir haben ja bisher „nur“ zwei) und Wohnungen. Hauptargument für das Vorhaben: Es soll Leben ins Zentrum bringen, und es soll fußläufig erreichbar sein. Und das in einem Ort, der als Schlafstadt gilt und in dem Zehnjährige schon auf den Führerschein sparen.
Bis auf die SPD sind alle Parteien im Gemeinderat Feuer und Flamme für diese Idee. Da sich jedoch Protest aus der Einwohnerschaft geregt hatte, und zwar so stark, dass es im Oktober zu einem Bürgerentscheid kommt, wird jetzt kräftig Stimmung gemacht. So appelliert zum Beispiel die FDP-Fraktion an das Bürgergewissen: „Bitte denken Sie bei Ihrer Entscheidung auch an Eltern mit kleinen Kindern, die fußläufig nach Kita- und Schulschluss ihre Einkäufe tätigen, oder an die vielen Senioren, die nicht mehr mit dem Auto fahren können oder wollen.“ Oh ja, an die denke ich. Die einen fahren ihre Brut mit dem größten SUV, das das Autohaus zu bieten hat, in Schule oder Kita, und tätigen ihre Einkäufe mit dem Selbigen. „SUV“ heißen die Dinger deshalb, weil man selbst im größten Vollsuff oder auch mit quengelnden Gören auf der Rückbank noch die Spur halten kann. Und die Senioren? Die werden von ihren Kindern mitversorgt. Etwa zu Fuß?
Mit einer Anwohnerin unserer Straße, die ich sehr mag, hatte ich folgendes Gespräch:
Frau W: „Also, ich finde, da gehört sowas hin in die Ortsmitte, wo man zu Fuß oder mit dem Rad hinkann. Und viele Parkplätze.“
Ich: „ Aber wir haben doch den Treff 3000 auf dem Partnerschaftsplatz mit Bäcker, Apotheke, Ärzten, Schreibwarenladen und Parkplätzen.“
Sie: „Aber da können alte Leute wie ich nicht mehr hin. Meine Tochter geht doch für mich einkaufen“.
Ich: „Und, würde Ihre Tochter mit dem Rad in das neue Einkaufszentrum fahren?“
Sie: „Nee, die fährt natürlich mitm Auto.“
Daraus schließe ich: Man muss nicht den Sportplatz, der übrigens tatsächlich Leben in den Ort bringt, und zu dem alle Kinder und Jugendlichen fußläufig hinkommen, plattmachen, und ein weiteres unansehnliches Gebäude dorthin stellen. Zumal für den neuen Sportplatz am Ortsrand etliche Bäume sterben müssen, eine weitere Grünfläche versiegelt würde, und die lieben Kleinen da ganz sicher nicht mehr fußläufig hinkämen. Neuhofen betoniert sich also zu und wird dann kräftig über den Verkehr stöhnen. Was es übrigens heute schon tut.
Die FDP weiter (falls die Bürger gegen das Vorhaben stimmen): „Anderenfalls wird Neuhofen KEINEN Vollsortimenter erhalten.“ Man hört sie förmlich mit dem Fuß aufstampfen. Menno! Ähnlich hysterisch und ebenfalls in Versalien auch der Ortsbürgermeister: „Dann bleibt Neuhofen OHNE Vollsortimenter!“ Wir werden alle einen qualvollen Hungertod sterben, und wenn das Auto verreckt, sind wir verloren.
Damit das nicht passiert, träumt der Bürgermeister von „Fleischtheken und einem umfassenden Sortiment hochwertiger Lebensmittel.“ Die FDP gibt uns allen „die Möglichkeit, in einem modernen Supermarkt mit Bedienungstheken für Fleisch, Käse und Fisch und einem großen Angebot an Biolebensmitteln einkaufen zu können.“ Mit Verlaub: Bio und Bedienung haben wir bereits, sogar einen Hofladen. Alles fußläufig. Weiterhin wird aus dem Gemeinderat suggeriert: „Möchten Sie immer in einen anderen Ort fahren, wenn Sie frische Wurst, eine größere Auswahl an Lebensmitteln oder Ihre Lieblingsmarmelade einkaufen möchten?“
Aaah! Da liegt also das Schwein im Pfeffer: Worschd un Fleesch. Des Pfälzers Leibspeisen. Ohne die geht gar nix. Ich finde, hier sollten sich die Vorderpfälzer viel stärker auf das besinnen, was zu ihnen gehört und was auf ihrer Scholle wächst. Neuerdings werden hier sogar Sojabohnen angebaut. Ein Schritt in die richtige Richtung, zumal pflanzlichen Produkten großes Wachstumspotenzial prophezeit wird. Gedanklich ist die Vorderpfalz allerdings immer noch ganz weit hinne. Auch mit Vollsortimenter und großem Parkplatz für die Fußläufigkeit. Seien wir auf die Abstimmung gespannt.
Kommentare
Oh ja, wir in Altrip können ein Lied davon singen – von der Auto-Lobby der alten weißen Männer. „Isch sags Ihne gonz ehrlisch, ich fahr nie Bus un mein Dackel ah net.“ So jemand steht unserem Dorf vor und hat maßgeblichen Einfluß auf Nahverkehr (brauche mer net), Bautätigkeiten (Parkplätze) und Dorfentwicklung. Weil die Fanatasie fehlt, ein schlaues, nachhaltiges und umsichtiges (Mini-)Zentrenkonzept und Leerstände zu entwickeln, werden immer mehr Grünflächen bebaut und der der Leerstand verrottet vor sich hin.
Ja, meine Liebe, so isses. Dem Dackel ist wohl auch egal, wo er das Bein hebt, ob auf Naturboden oder auf Beton. Schad.