OM auf dem Zahnarztstuhl
Es gibt einen Moment in meinem Leben, da bin ich voll im Hier und Jetzt. Nämlich ein Mal im Jahr beim Zahnarzt. Professionelle Zahnreinigung.
Nach dem gedankenfreien, entspannten Ganz-bei-mir-selbst strebe ich ja regelmäßig bei einer Meditation. Doch ums Verrecken nicht wollen sich die Gedanken beruhigen! Kaum sitze oder liege ich zuhause auf der Yoga-Matte, kommt, noch bevor ich die Augen geschlossen habe, ein dicker Staubfussel in mein Blickfeld geschwebt. Den würde ich sonst gar nicht sehen. Der muss weg. Sitze ich wieder, kommen Gedanken wie: „Die Pflanze hier neben mir braucht Wasser“ , oder: „Was muss ich morgen einkaufen?“ Inzwischen gehe ich zum Meditieren in die Kirche. Klappt deutlich besser.
Am besten funktioniert das Hier und Jetzt allerdings beim Zahnarzt. Sobald der Ultraschallreiniger zirpt und in meinen Zahnhälsen wühlt, bin ich gedanklich voll dabei. Da ist kein Platz für anderes. Ich habe schon probiert, zur Ablenkung rückwärts auf Albanisch zu zählen. No way. Verkrampft sitze ich da, atme flach und warte auf den Schmerz. Der gar nicht kommt. Ich hätte gute und ebenso gepflegte Zähne, heißt es (das musste ich eben mal dezent einflechten). Auch beim anschließenden Airflow, der die Konsumsünden des vergangenen Jahres wegkärchert und mein Zahnfleisch zum Bluten bringt, spüre ich fast nichts. Trotzdem denke ich nur noch „OM“, ॐ, was bedeutet: „Gegenwart des Absoluten“. Und weiß plötzlich, was damit gemeint ist – die Gegenwart des absoluten Ausgeliefertseins!
Bildquelle: shutterstock, weiter bearbeitet, und omzeichen.de