In Kurioses

Event of modern Art im Konsumtempel

An einem Samstag Abend traf ich einen ehemaligen Kollegen auf der Straße. Er verriet mir, dass er ein paar Galerien besuchen wolle, heute sei doch Kultour, da hätten Ateliers und auch Privathäuser geöffnet. Und was ich mir denn anschauen wolle?

Ich wies auf das orange-rote Leuchtemblem des Supermarktes gegenüber und kramte nach meinem Einkaufszettel. „Das will ich besonders ins Augenmerk nehmen“, verkündete ich und las vor: „Käse, Kartoffeln, Karotten.“ „Das ist ja spannend“, meinte Thomas, so heißt der Kollege, „und was hat es damit auf sich?“ „Nun, das ist so“, erklärte ich. „Bei der letzten Ausstellung habe ich mir alle möglichen Dinge angeschaut, die mit „M“ angefangen haben – Milch, Mehl, Mandeln und Maracujas. Ich gehe übrigens nicht alphabetisch vor“, meinte ich noch hinzufügen zu müssen. Thomas’ Wissensdurst war nun richtig angefacht. „Was ist so Besonderes an dieser Ausstellung? Und woher kommen die Künstler, kennt man die?“

Die Antworten saßen mir locker, als hätte ich das Programmheft studiert und sei sehr kunstbeflissen. Im Übrigen schien ich nicht die Einzige zu sein; zahlreiche Kunstjünger strebten zum Eingangsportal unter der farbenfrohen Leuchtreklame, und Richtung Ausgang, wo die Kustoden ein waches Auge auf die Besucher haben, hatte sich sogar eine kleine Schlange gebildet. „Also, die Kunstgegenstände, alle tatsächlich gegenständlich, Abstraktes gibt es hier nämlich nicht, sind grundsätzlich – also, Du kennst doch Christo? – eben halt verpackt. Alle. Das ist schon besonders. Und diese Verpackungen sind so gestaltet, dass sie mit dem Gegenstand eine harmonische, in sich geschlossene stringente Einheit bilden, verstehst Du?“ Thomas konnte mir folgen; er ist schließlich regelmäßiger Gast auf Kulturveranstaltungen und hatte schon einiges gesehen.

„Und wo die Künstler herkommen? Nun, aus der ganzen Bundesrepublik“, sagte ich stolz und nannte einige Namen.“ „Au ja, die kenne ich aus den Medien!“ rief Thomas erfreut. Ich setzte noch einen drauf und brüstete mich, dass die Kunstwelt in diesem Etablissement gar globaler Provenienz sei, Südamerikaner seien immer häufiger vertreten, und besondere Erwähnung verdienten die Australier, deren Performance darin bestünde, verschiedenfarbige Flüssigkeiten in länglichen Glasbehältern einzuschließen. Es sei kaum zu glauben. Ein wenig bedauerlich sei es aber schon, meinte er, dass sich regionale Künstler hier so gar nicht durchsetzen könnten. Das musste ich einräumen, verwies jedoch auf regelmäßige Open-Air-Vernissagen im nahen Stadtzentrum, wo sich besonders die linksrheinische Kunstszene tummele. Hier gehe es noch ein wenig bodenständiger zu; das taktile Begreifen stünde im Vordergrund, und oft sei auch das Ausstellungspublikum interaktiv einbezogen. „Was Du nicht sagst!“ Thomas staunte nun ehrlich. „Aber sag mal, gibt es dort“, und unsere Blicke richteten sich wieder gemeinsam auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo das Publikum weiterhin zusammenströmte, „auch ein narratives Element?“ Ich nickte eifrig.

„Selbstverständlich. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schnell sich eine Diskussion dort entspinnt, wo alle Kunstwerke grün sind.“ „Ja, sind die denn farblich sortiert?“ fragte Thomas, meiner Meinung nach nun doch etwas begriffsstutzig. „Nein, natürlich nicht. Aber diese Abteilung erfreut sich großer Beliebtheit. Hier treten die Verpackungen ein wenig in den Hintergrund, d.h. sie spannen sich beispielsweise als filigrane Netze oder transparentes Zellophan um die eigentlichen Kunstwerke, lassen diesen dadurch den Vortritt und uneingeschränkte Aufmerksamkeit zukommen. Ein weiteres Beispiel sei der bereits erwähnte Ausstellungsbereich, in welchem die Kunstschaffenden mit Flüssigkeiten experimentierten. Hier könne man sich Kontaktwünschen anderer Ausstellungsbesucher kaum erwehren. Da stahl sich ein verschmitztes Grinsen auf Thomas’ Gesicht: „Also in etwa ein Heiratsmarkt?“ Von solchen Geschichten habe er schon gehört. „Da hast Du’s“, bestätigte ich. „Das Response-Element ist praktisch schon eingebaut. Nicht mehr nur L’art pour l’art, sondern sozialer Kitt in unserer auf Profit ausgerichteten Gesellschaft. Und deshalb muss ich da jetzt hin!“ Sprach’s und überquerte die Straße.

 

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