In Kurioses

Wo ist der Deinhard? Oder: Damals waren alle gleich

Beitrag für die Blogparade von Jeremi zum Thema „Musik damals und heute“: Ein schräges Gedankenexperiment zu Werbung auf Musikkassetten und ein nostalgischer Streifzug durch die Werbewelt der 80-er.

Musikkassetten? Weiß noch jemand, was das ist? Wenn nicht – hier oben ist ja ein Bild davon. Nebst Abspielgerät dafür. Wir Babyboomer-Oldies aus den 60-ern hatten ja sowieso statt einer Nabelschnur einen Haufen Bandsalat um den Körper gewickelt. Wir haben es überlebt.

Die Rede ist von selbst aufgenommenen Musikkassetten; jenen, die einem die/der Liebste ausgewählt und zusammengestellt hat. Was für eine Heidenarbeit das war! Aber die Mühe hat sich immer gelohnt – hinterher hatte man genau das, was man hören wollte und konnte das stundenlang im Blaupunkt auf der Fahrt nach Griechenland in seinem Golf tun. Und es am Strand dann aus dem Radiorekorder brüllen lassen oder wahlweise auf dem Walkman hören. Oft mit Bandsalat, aber immer ohne Werbung.

Heute ist das anders. Playlists auf youtube sind ratzfatz zusammengestellt. Aber wer sich das werbefreie, aber bezahlpflichtige Premiumabo verkneift, wird spätestens nach dem zweiten Song mit einem Werbeblock beschallt. Der orientiert sich an den Daten, die man freiwillig oder unfreiwillig hinterlassen hat. Bei mir sind es Ads für Katzenfutter, Hautcreme, Shampoos, aber auch Autowerbung. Dabei abbe isch gar keine Auto. Zum Glück lässt sich die Werbung meist nach wenigen Sekunden überspringen. Lästig bleibt es allemal.

Jetzt erlaube ich mir mal ein Gedankenexperiment! Und zwar: Wie hätte das in den 80-ern und 90-ern klingen können – wenn sich der/die Aufnehmende verpflichtet hätte, Werbeeinblendungen in der liebevoll zusammengestellten Kompilation zuzulassen, um damit z. B. den Kauf der teuren Denon- oder TDK-Kassetten zu refinanzieren? Ich habe mir da mal so meine Gedanken gemacht und eine kleine Auswahl auf der Basis echter Lieder in meinen Mixkassetten, die ich übrigens immer noch habe, zusammengestellt:

Nach dem rotzigen Ramones-Song Havanna Affair ertönen plötzlich karibische Klänge: Come on over, have some fun, dancin‘ in the morning sun … Richtig, Bacardi. Es folgt Backseat Education von Zodiac Mindwarp; danach lässt die Werbung für den Volvo 960 nicht lange auf sich warten. Wer Riders on the Storm hören will, kommt um 3-Wetter-Taft nicht rum: Zwischenstopp München, es ist ziemlich windig. Perfekter Sitz – 3 Wetter Taft. Max Goldts surreales Werk Ein Eimer Erbsen mittelfein zieht natürlich, das liegt nahe, Bonduelle ist das famose Zartgemüse aus der Dose nach sich. Und während die Simple Minds mit Don’t you forget about me gegen den Gedächtnisverlust ankämpfen und deshalb schnell das Thai-Ginseng-Jingle ertönt, fragen sich die Pixies Where is my Mind? Das fragt sich auch die blonde Schöne, die auf eine Trommel eindrischt, bis das Trommelfell reißt (sowohl meins als auch das von der Trommel) und kreischt: Wo ist der Deinhard? Einer der Hits, der auf keiner Compilation fehlen durfte, war Our House von Madness. Klar, dass sich da gleich mal Schwäbisch Hall dranhängt mit Auf diese Steine können Sie bauen. Unfreiwillig prophetisch die Werbeeinblendung nach Sagas Give ‚em the Money: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse. Zu guter Letzt Soft Cell mit Chips on my Shoulder, gefolgt von einer fußballstadiontauglichen Hymne: Chio, Chio, Chio Chips!

Die Werbetreibenden hätten sich damals also an den Musiktiteln orientieren müssen. Denn transparente, personalisierte Nutzerprofile fehlten noch völlig. Damals, ja damals waren alle noch gleich, und so schauten die Generationen gemeinsam dieselben Filme und dieselbe Werbung – von Alete kotzt das Kind bis Zahnbürstenbiegen mit Dr. Best. Die Werbepause ließ sich nicht wegklicken oder überspringen, sondern musste ertragen werden. Das taten wir in den seltensten Fällen. Wir nutzten sie kreativ als Pinkelpause, um den Toast Hawaii aus dem Ofen zu holen oder um einen kurzen Anruf bei Tante Erna in Ganzweitweg zu tätigen. Ferngespräche kosteten nämlich richtig Geld.

Nun würde mich interessieren, ob jeder, der sich meine Playlist anhört, auch dieselbe Werbung zu sehen bekommt? Also auch Katzenfutter, Hautcremes, Shampoos und Autos? Erzählt doch mal!

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